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Das Amazon-Ökosystem als Gefahr und Chance für Marken

Ein Gastartikel von Ronny Marx

Bereits seit über 20 Jahren gibt es Amazon als Marktplatz nun schon in Deutschland, genauer gesagt seit dem 15.10.1998. Seit diesem Zeitpunkt hat sich die Shopping-Plattform mit all ihren Funktionen und vor allem der Angebotsbandbreite massiv vergrößert. Es ist davon auszugehen, dass allein auf dem deutschen Marktplatz über 300 Millionen aktive Produktangebote online sind und im Heimatland USA sind es noch einige hundert Millionen mehr. Mit einer solch massiven Vielfalt kommt Unternehmensgründer Jeff Bezos seinem Ziel „The Everything Store“ schon sehr nahe, d.h. möglichst jedes physische Produkt auf Amazon verfügbar zu machen, dass man für Geld kaufen kann.

Das „Flywheel“ als Grundlage

Schaut man ein wenig tiefer in die Historie von Amazons Anfängen, dann ist die Produktvielfalt ein kalkuliertes Element der Gesamtstrategie. Die Rede ist hier vom sogenannten „Amazon Flywheel“, einem sich selbst antreibendem Mechanismus, der angeblich von Anfang an der Plan und die Grundlage von Jeff Bezos war, auf dem er seinen Marktplatz ausgerichtet hat. Die Mechanik ist so simpel wie genial: Eine große Produktvielfalt schafft ein gutes Nutzererlebnis. Das wiederum führt zu mehr Besuchern auf der Shopping-Plattform, was seinerseits mehr Verkäufer anlockt. Diese bieten mehr und mehr Produkte an, sodass die Vielfalt noch größer wird. Nun kommt noch ein weiterer Multiplikator dazu: Repetierende Investition in bessere Kostenstruktur und mehr Funktionen, was wiederum das Nutzererlebnis verbessert.

Auf diese Weise entsteht ein System, dass einen regelrechten Sog erzeugt und Konsumenten wie Verkäufer gleichermaßen anzieht. Genial sagen die einen, gefährlich behauptet die anderen und an beiden Thesen ist etwas dran, denn Amazon ist auf dem Weg zu einem temporären Monopol im B2C-Bereich des Onlinehandels.

Marken und Hersteller unter Zugzwang

Was für die Konsumenten sehr praktisch ist, setzt selbst gestandene Marken und bis dato erfolgreiche Onlinehändler sehr unter Druck. Amazon hat Google als Produktsuchmaschine in Deutschland und in weiten Teilen Europas und Nordamerika bereits abgelöst. Je nach Produktsparte und Zielgruppe ist davon auszugehen, dass bereits mindestens jede zweite produktnahe Suchanfrage ohne Umwege direkt auf Amazon gestartet wird. Laut eigenen Aussagen schließen danach 91 Prozent der Suchenden ihren Kauf auf Amazon ab und 9 von 10 Shopper nutzen vor jedem Onlinekauf immer Amazon zur Recherche, auch wenn sie später woanders bestellen. Das sind bedrohliche Zahlen für jeden Betreiber eines Onlineshops, denn diese bekommen immer weniger Traffic und auf kurz oder lang werden viele kleinere Shops aus der E-Commerce-Landschaft verschwinden. Hier zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, wie im Offline-Geschäft, wo große Kaufhäuser und Shopping-Center viele kleine Einzelhandelsgeschäfte verdrängt haben. Online geschieht dies eben derzeit in Richtung der digitalen Marktplätze und Amazon ist einer der wichtigsten Player weltweit in diesem Bereich.

Rückzug der Marke ist keine Option

Der Umkehrschluss davon ist jedoch, dass es sich kaum eine Marke oder ein Hersteller mehr leisten kann, nicht auf Amazon vertreten zu sein. Das gilt heute schon für viele Bereiche des Konsumgeschäfts. Der Marktplatz zieht Konsumenten wie ein Magnet an und versteht es, diese auch dort zu halten und zu Bestandskunden zu machen. Durch das schiere Überangebot an Produkten, die mehr und mehr vergleichbarer werden und oftmals kaum noch Differenzierungsmerkmale aufweisen, sinkt zeitgleich die Markentreue der Konsumenten. Auch das spielt Amazon in die Karten. Wenn Marke A nicht auf dem Marktplatz zu finden ist, dann kauft man eben ein Produkte der Marke B. Und wenn die Marken selbst nicht auf Amazon ihre Produkte einstellen und die Markenpräsenz steuern, dann tut dies eben der „Graumarkt“ oder der Handel. Beispiele wie Nike und Birkenstock haben es in der Vergangenheit gezeigt: Ein Rückzug der Marke von Amazon ist zu kurz gedacht, denn hier gilt das Marktplatzprinzip. Zehntausende von Onlinehändler nutzen diesen Vertriebskanals und treten damit auch in Konkurrenz der Hersteller selbst. Zieht sich eine Marke von Amazon zurück, verschwinden deren Produkte keineswegs. Ganz im Gegenteil: Es herrscht „Wildwuchs“ in puncto Markenpräsentation und Plagiatsgefahr.

Onlinehandel leicht gemacht

Nun ist es bei weitem nicht immer nur ein Risiko auf Amazon zu verkaufen. Ganz im Gegenteil: Muss man als Betreiber eines Onlineshops für die Instandhaltung der technischen Strukturen sowie der Generierung des Nutzerstroms noch selbst sorgen, übernimmt das Amazon weitestgehend von sich aus. Es ist richtig, dass für den Handel auf dem Marktplatz eine Gebühr fällig wird und die Kritik daran ist fast immer unberechtigt, denn auf jedem Flohmarkt im Offline-Geschäft muss ein Händler Gebühren zahlen. Warum also nicht auch Online? Zudem muss man sich als Onlinehändler auf Amazon ausschließlich um die Listung seiner Produkte kümmern und kann alle technische „Maintenance“-Bereiche dem Marktplatz überlassen. Seit circa 5 Jahren erleben wir in Deutschland einen regelrechten Boom an kleinen, neuen Marken und Händlern, die ausschließlich auf Amazon ihre Produkte anbieten und auch nur aufgrund der schlichten Existenz des Marktplatzes in der Lage sind, ein Handelsgeschäft zu betreiben. Nie war es so einfach, eigene und Drittmarken-Produkte von überall auf der Welt online zu verkaufen.

Und anders als mit einem Webshop, bei dem man sich um die Verknüpfung von Paid-Search über bspw. Google Shopping oder Google Ads selbst kümmern muss, bietet Amazon seine Advertising-Funktionen parallel quasi „aus einer Hand“ an. Sind die Produktdaten und Fotos online und der Bestand im eigenen oder um Amazon-Lager eingebucht, klickt man im Amazon-Backend nur einen Reiter weiter und kann seine Artikel gezielt bewerben. Vergleicht man dann auch einmal die Klickpreise von Google und Amazon, so ist der Marktplatz oft sehr viel günstiger. Nie war es so einfach, seine Produkte zum Verkauf anzubieten.

Fazit: Amazon ist ein zweischneidiges Schwert

Keine Frage: Einfachheit hat ihren Preis, nämlich den der Abhängigkeit. Ist man erst einmal als Marke oder auch als Käufer im Amazon-Ökosystem gefangen, ist ein Entkommen aus selbigen sehr schwer. Für Konsumenten bietet der Marktplatz einen tollen Kundenservices, günstige Preise und eine riesige Produktauswahl sowie ein sehr einfaches Checkout-System. Das treibt immer mehr Nutzer zu Amazon und macht sie zu Bestandskunden. Marken und Hersteller sind gezwungen darauf zu reagieren, denn wer nicht auf Amazon gefunden wird, der wird schlicht weniger und manchmal gar nichts mehr verkaufen.

Parallel mutiert Amazon immer stärker zu einer Marketing-Plattform und macht damit auch Google und Facebook im digitalen Bannergeschäft das Leben schwer. Allein in Deutschland bietet Amazon seinen Advertisern Zugriff auf ca. 50 Millionen aktiven Kunden-Accounts, die mittels Programmatic Advertising gezielt auch außerhalb des Marktplatzes beworben werden können.

Man kann es nun mögen oder nicht, aber die Augen vor Amazon zu verschließen und auf Krampf eigene, alternative Wege gehen zu wollen, kann mittel- und langfristig auch für bekannte, große Marken sehr gefährlich sein. So wie Amazon seine Marktmacht oft ausnutzt, so sollten auch Hersteller und Verkäufer es ausnutzen, dass man mit überschaubarem Aufwand Millionen von potenziellen Käufern erreichen kann. Wenn uns Amazon eines in den letzten 20 und vor allen letzten 3 bis 4 Jahren gelehrt hat, dann das: Alte Denkmuster und verstaubte Markenstrategien funktionieren heute nicht mehr. Marken und Hersteller müssen lernen, disruptives Marketing zu betreiben und in Amazon nicht nur einen „Trend“ sehen, der schon wieder verschwinden wird.

Über den Autor:

Ronny Marx ist Gründer der Amazon Agentur intomarkets und Initiator sowie Moderator der Marktplatz-Konferenz merchantday. Seit über 12 Jahren ist er bereits im E-Commerce unterwegs und durchlief hier unterschiedliche Positionen als Art Director, Senior Marketing Consultant, Team Lead und Startup-Gründer. Ronny war einer der ersten „Pioniere“, die in Deutschland die Amazon- und Private-Label-Community maßgeblich mitgeprägt hat. Zudem ist er Autor eines der ersten deutschen Bücher zum Thema „Amazon Marketing“ (Buchtitel „Amazon SEO Code“) und veröffentlichte bereits 2015 den ersten deutschsprachigen Videokurs zum selben Thema. Mit seiner ca. 20-köpfigen Hamburger Agentur betreut und berät er vorrangig große Seller und Vendoren in Deutschland und Europa, wie sie mit gezieltem Marketing und effektiver Produktoptimierung die eigene Markenpräzens verbessern und Umsätze nachhaltig steigern können.

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