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Programmatic Advertising: Wundertüte oder dubiose Blackbox?

Programmatic-Advertising-Wundertuete-Blackbox

Unter Programmatic Advertising versteht man den automatisierten Einkauf (auch Verkauf) von Werbefläche im Online-Marketing. Etwas vereinfacht ausgedrückt werden beim Programmatic Advertising Werbeflächen in Sekundenbruchteilen über Auktionsverfahren mit entsprechender Werbung bespielt. Das ganze passiert natürlich computergesteuert und vollautomatisch. Der Werbetreibende definiert seine Nachfrage über eine sogenannte Demand-Side-Platform (DSP), der Anbieter definiert seine Werbeplätze in einer sogenannten Sell-Side-Platform (SSP) und den Rest erledigt die Technik. In Auktionsverfahren werden Angebot und Nachfrage zwischen den beiden Plattformen in Echtzeit abgeglichen. Entscheidend für die Ausspielung ist das Gebot des Werbetreibenden.[1] Das Gegenstück dazu ist die gute alte manuelle Buchung von Werbefläche durch so genannte Insertion Orders. Diese bedingt die Recherche/Suche von geeigneten Werbeplätzen und die schriftliche oder telefonische Preisverhandlung mit den Anbietern.

Programmatic Advertising ist seit etwa 2015 ein Trendthema. Dabei sind die Wurzeln deutlich älter. Sie liegen bei den AdNetworks (Werbenetzwerke), die Anfang 2000 entstanden und Werbetreibende und Vermarkter in einer Art Marktplatz zusammen brachten. Allerdings machten die Werbenetzwerke der Jahrtausendwende den Einkauf von Werbeplätzen nur günstiger, nicht aber effizienter. Die technologische Grundlage war noch rudimentär und brachte keine echten Effizienzgewinne. Es dauerte noch mindestens 10 Jahre, bis Themen wie »Real Time Bidding« (RTB) und »Programmatic Advertising« technologisch marktfähig waren. Einer der Pioniere war die Firma AppNexus, die 2010 ihre erste RTB-Plattform in Betrieb nahm. 2013 hatte Programmatic Advertising laut vieler Experten dann schon einen Marktanteil von rund 15 Prozent.

Theoreitsche Vorteile sind gigantisch und begründen Hype

Auf der theoretischen Ebene bietet Programmatic Advertising einige Vorteile. Die manuelle Buchung von Online-Werbeflächen ist sehr zeitaufwendig und damit auch kostenintensiv. Genau genommen Personalkosten-intensiv. Beim Programmatic Advertising wird die Arbeit von Computern verrichtet, was natürlich günstiger ist. Auch das Targeting soll beim Programmatic Advertising granularer sein und damit weniger Streuverluste verursachen. Besonders interessant ist die Option der extrem kurzen Reaktionszyklen. Programmatic Advertising stellt ja im Grunde einen automatisierten Handel von Werbefläche dar, der in Bruchteilen von Sekunden stattfindet. Ähnlich wie Aktienhandel an einer Börse. Werbetreibende können also durch kurzfristige Gebotsanpassungen eine extreme Hebelwirkung erzielen. Ein Beispiel wäre die Verdopplung der Gebote für eine bestimmte Kategorie von Werbeplätzen in den Stunden nach der Ausstrahlung des eigenen TV-Spots.

Weltweit ist Programmatic Advertising auf dem Vormarsch. Laut einer Erhebung von BCG und Magnaglobal werden die Ausgaben für Programmatic Advertising schon 2020 die Ausgaben für klassisch ausgespielte Online-Display-Werbung bei weitem  übertreffen. 2017 waren sie noch in etwa gleich hoch. Die folgende Abbildung veranschaulicht den Sachverhalt.

Erhebung von BCG und Magnaglobal werden die Ausgaben für Programmatic Advertising schon 2020 die Ausgaben für klassisch ausgespielte Online-Display-Werbung bei weitem  übertreffen.

Quelle: BCG und Magnaglobal. Daten für 2020 sind eine Prognose.

Auch in Deutschland ist Programmatic Advertising auf dem Vormarsch. Laut einer Erhebung von Statista, soll der Umsatzanteil von Programmatic Advertising im Markt für Display-Werbung im Jahr 2023 65 Prozent betragen. Und das trotz der Verunsicherung bezüglich der DSGVO, die meiner Beobachtung nach, in Deutschland deutlich ernster genommen wird, als in anderen europäischen Ländern. 

Umsatzanteil von Programmatic Advertising im Markt für Displaywerbung in Deutschland im Jahr 2017 sowie eine Prognose bis 2023
Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/831081/umfrage/umsatzanteil-von-programmatic-advertising-im-markt-fuer-digitale-werbung-in-deutschland/

Gigantische Volumen, minimales Verständnis

Die absoluten Volumina, die hinter Programmatic Advertising stehen, sind gigantisch. Es geht um Milliarden. Laut einer Prognose der Mediaagentur Zenith werden 2020 weltweit rund 98 Milliarden US-Dollar für Programmatic Advertising ausgegeben.[2] Das Ironische am Hype um Programmatic Advertising ist allerdings, dass kaum ein Werbetreibender die Prozesse und die Pricing-Modelle wirklich versteht. Wo so viel Geld fließt und Prozesse nicht leicht nachvollziehbar sind, treten schnell kritische Stimmen auf den Plan. Immer häufiger fordern Marktteilnehmer mehr Transparenz hinsichtlich der Kosten, der Aufwendungen und der Algorithmen. Bisweilen ist auch von »AdFraud«, also dem Vortäuschen von erbrachter Werbeleistung die Rede. Oder von Kampagnen, die völlig an der Zielgruppe vorbei ausgesteuert werden, was ich auch schon erlebt habe. Dabei sind hohe sechsstellige Summen sinnlos verpulvert worden. Oft taucht auch die Frage auf, wie es um den »Brand Fit« der automatisch ermittelten Platzierungen steht. Tatsache ist, dass der Werbetreibende letztlich mit der Buchung von Programmatic Advertising die Kontrolle über die Platzierung seiner Werbebeiträge aus der Hand gibt.

Nichts für kleine Budgets und geringes Know-how

Die Rufe nach mehr Transparenz im Programmatic Advertising kommen daher nicht von ungefähr. Programmatic Advertising entfaltet ja erst seine Wirkung, wenn ein sehr hohes Datenvolumen zur Verfügung steht um eine automatisierte Optimierung durchführen zu können. In den meisten Fällen bedingt dieses ein hohes fünfstelliges, sechsstelliges oder gar siebenstelliges Budget. Im Klartext bedeutet das, dass sich Programmatic Advertising für kleinere Budgets eher nicht eignet. Persönlich habe ich mehrere Programmatic Advertising Kampagnen im sechsstelligen Bereich betreut. Der Erfolg war mäßig. Transparenz war schlicht nicht vorhanden. Allerdings hat die Branche wohl erkannt, dass sich noch einiges verbessern muss, damit Programmatic Advertising in der Zukunft die hochgesteckten Prognosen erfüllt. Doch Transparenz alleine wird wohl nicht ausreichen, um die Unkenrufe zum Verstummen zu bringen. Auch die Werbetreibenden müssen ihren Teil beitragen. Meiner Beobachtung nach verfügen aktuell die wenigsten Werbetreibenden über das notwendige Know-how um Kampagnen wirklich bewerten zu können. Häufig lassen sie sich durch komplizierte Fachbegriffe, Anglizismen und die Fokussierung auf völlig falsche KPIs verwirren.

Fazit

In Marktsegmenten mit großen Werbebudgets wird Programmatic Advertising in den nächsten Jahren weiter boomen; trotz der Komplexität der Intransparenz und des mangelnden Verständnisses auf Seiten der Werbetreibenden. In vielen B2B-Segmenten oder Nischen wird weiterhin die manuelle Buchung von Werbefläche die Regel sein. Denn die Vorteile von Programmatic Advertising kommen erst bei einer gewissen kritischen Masse zum Tragen.

Da Werbetreibende durch Programmatic Advertising letztlich die Kontrolle über die Platzierung ihrer Werbebeiträge aus der Hand geben, tun sie gut daran, ein entsprechendes Controlling zu implementieren und sich nicht auf die Zahlen der Anbieter zu verlassen. Sicherlich tun sie auch gut daran, sich mit dem Thema zu beschäftigen, Transparenz und Details einzufordern und sich bei der Definition wirklich relevanter KPIs Mühe zu geben. 


[1] Wer sich für Details zur Funktionsweise interessiert, wird in diesem Artikel der W&V fündig: https://www.wuv.de/marketing/wie_funktioniert_programmatic_advertising.

[2] Vgl. https://www.wuv.de/digital/warum_deutschland_beim_programmatic_advertising_hinterherhinkt

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